Aber es sieht so aus, als wäre ich ein äußerst zeitgemäßer Typ. Bisher hat es mich einfach nicht gereizt, Möbelstücken, Kleidung oder Styling-Hits nachzutrauern und diese wieder aufleben zu lassen. Meinen heutigen Geschmack und meine Vorlieben sehe ich eher als Entwicklung an. Schlecht war die Vergangenheit sicher nicht, aber möchte ich wieder Karotten-Hosen tragen? Nein, danke. Wem ich viel eher etwas gedankenverloren nachhänge, ist der Einfachheit von „früher“. Es war übersichtlicher, weniger kompliziert und authentisch. Es ist oft auch nur so ein Gefühl, aber ich bin zum Beispiel froh, ein Kind meines Jahrgangs gewesen zu sein und nicht heutzutage aufzuwachsen. Ich erinnere mich einfach zu gern an Spielen im Freien, an Weihnachten, wenn die alten Spielsachen meiner Eltern ausgepackt wurden oder ans Briefe Schreiben mit Freundinnen. Inzwischen gibt es so unendlich viele Unterhaltungsoptionen für Kinder und Jugendliche, die aber überwiegend mit dem Internet zu tun haben. Ich stand kürzlich mit meinem Freund in einem Spielwarenladen und war beinahe erschlagen von all den Möglichkeiten.
In meiner Erinnerung gab es Lego, Playmobil oder Barbie.
Jetzt gibt es da zig Untergruppen: Lego Friends, Lego Elves, Lego Super Heroes, Lego Speed Champion und und und. Deshalb erst mal die Tante angerufen und gefragt, welche Serie denn nun gerade beim Patenkind angesagt ist, um dann erst das hoffentlich Richtige zu kaufen. Und ich möchte gar nicht erst mit all den Disney-Filmen anfangen, die in jeder nur erdenklichen Warengruppe Werbung betreiben. Das ist doch doof. Da bin ich gern alt oder nett gesagt retro, wenn ich mir wünsche, dass Filme Filme bleiben und Joghurt Joghurt. Nix Prinzessinnen-Müller-Knusper-Spaß-Quark. Das Schwimmbad ist übrigens auch modern geworden. Habe mich kürzlich ähnlich angestellt, wie wenn ich meine Oma darum gebeten hätte, meinen Facebook-Status zu aktualisieren. Diesen Armbanduhren-Chip hält man nun gegen alle Türen und Schleußen. Bin ja wirklich kein Technikmuffel, aber bis ich mal Schwimmen gehen konnte, war ich schon im Begriff an meinem Armbanduhren-Chip die Wassertemperatur zu personalisieren. Da will ich doch einfach den soliden alten Spind-Schlüssel zurück, den man gut und gern auch mal im Becken verloren hat. Das waren noch Zeiten. So einfach. Und aufregend.
Aber ist das wirklich retro?
Vielleicht nicht im klassischen Sinn, aber sich „gute alte Zeiten“ bisweilen zurückzuwünschen, ist für mich völlig in Ordnung. Als ich noch eine kleine Party-Maus war, habe ich es gehasst, wenn Leute über die Vergangenheit geschwärmt haben und die jungen Leute belächelt haben. Deswegen mache ich das auch nicht. Also nur ein bisschen. Die jungen Leute nerve ich aber mit meinen Erinnerungen nicht. Es ist schon in Ordnung, wenn sich die Welt weiterdreht und sich Dinge weiterentwickeln. Mein iPhone möchte ich unter keinen Umständen gegen ein Telefon mit Kabel und integriertem Faxgerät eintauschen, aber es gibt eben auch Veränderungen, die ich früher einfacher fand. Einkaufen zum Beispiel. Nun ist es natürlich schön, wenn sich auch das Wissen um Inhaltsstoffe weiterentwickelt, aber inzwischen kann man sich ja nicht mal mehr bedenkenlos Drogerieprodukte kaufen. Greife ich zu einem herkömmlichen Deo, werde ich gleich gewarnt, ich müsse jetzt besser eines frei von Aluminium kaufen. Shampoo ist nur noch ohne Silikone gut und die Bodylotion sollte am besten vegan sein.
Achso, der Lip Balm ist übrigens auch nicht mehr unbedenklich.
Hier muss ich die Inhaltsstoffe ebenfalls akribisch nach Parabenen und Mineralölen kontrollieren. Vorsicht und Gesundheitsbewusstsein in allen Ehren, aber bisher haben einige Millionen Menschen vor mir ein reguläres Deospray auch überlebt. Den Weg von der Drogerie nach Hause auf dem Fahrrad durch den zunehmenden Verkehr dagegen vermutlich eher nicht. So, genug erinnert. Nun geht es auf den Weihnachtsmarkt. Muss mir gleich schon überlegen was ich trinken möchte. Die Auswahl wird hier ja auch immer größer: Glühwein normal, Glühwein vegan, Glühwein glutenfrei, Glühwein laktosefrei, Glühwein ohne Glüh...
Text: Stefanie Lehnert