Ich könnte jetzt nach Hause kommen, meinem Herz die Chance geben, alles aus sich herauszuholen, um mich fürchterlich aufzuregen. Über dämliche Verkehrsteilnehmer, die sich gegen das Reißverschlussverfahren sträuben; über unfreundliche Hausfrauen; über meinen Kater, der wieder mal beim Pinkeln sein Klo verfehlt hat. Letzteres ist mir bis heute ein Rätsel, seine Toilette könnte größentechnisch glatt als Ein-Zimmer-Studentenwohnung durchgehen. Vielleicht muss mein Freund ihm tatsächlich noch das Pinkeln im Sitzen zeigen. Ein hilfreiches Schild mit aufschlussreicher Zeichnung war bisher erfolglos.
Klar, sich Luft machen, ist super.
Mach ich ständig und meistens ohne Punkt und Komma. Danach fühle ich mich auch richtig gut. Aber ganz ehrlich, mal Dampf abzulassen oder sich täglich über irgendwelche „Kleinigkeiten“ aufzuregen sind zwei ganz unterschiedliche Reaktionen.
Bei meiner ersten Arbeitsstelle hatte ich einen Kollegen, der sich beinahe täglich darüber beklagt hat, in was für einem Nebelloch er arbeiten müsse. Im nur wenige Kilometer entfernten Zuhause würde die Sonne doppelt so lange scheinen. Schon nach einem halben Jahr konnte ich es einfach nicht mehr hören. Sich über das Wetter aufzuregen liegt auf meiner Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Liste ganz weit vorne. Das ist einfach komplett unnötig - ich wüsste nicht, wann sich das Wetter von meinem Wutausbruch so sehr einschüchtern ließ, dass es am nächsten Tag 30 Grad im Schatten hatte.
Ein Freund von mir macht es richtig. Frühmorgens beim Bäcker. Während man meinen könnte, unsere liebenswerten Rentner hätten den ganzen Tag Zeit, sich ihre weichen Brötchen zu kaufen, drängeln sich diese gern mal ohne Scham bis zur Theke nach vorne. Mit einem freundlichen „Gehen Sie gerne nach vorne, Sie haben ja nicht mehr lange“, macht er Ihnen Platz und lächelt dabei noch höflich. Warum nicht? Witzig sein statt Ärger aufbauen. Und wir können immer wieder aufs Neue über seine Schlagfertigkeit lachen.
Und ich? Wenn die schlecht gelaunte Hausfrau meine Hilfe beim nächsten Mal unfreundlich ablehnt, werde ich zuckersüß antworten: „Kein Problem. Dann warte ich bis Ihnen alles aus der Hand fällt und helfe Ihnen dann beim Einsammeln.“
Text: Stefanie Lehnert